Warum fotografieren wir? | Was, wenn keiner unsere Bilder sehen würde?
Ich unterhielt mich vor einiger Zeit mit meiner Freundin über die künstlerische Tätigkeit und warum wir so getrieben sind. Warum es uns nicht möglich ist, für eine längere Zeit nichts zu tun. Ob es um die Anerkennung geht oder ob wir es auch dann tun würden, wenn niemand unsere Werke, ob gemalt oder fotografiert, sehen würde. Meine Freundin ist künstlerisch sehr begabt, egal ob es um das modellieren von Figuren oder ganzen Dioramen, das Malen auf Leinwand, Steinen, Holz oder vor kurzem Landschaftsbilder mit Acryl auf Zeichenpapier die nicht größer sind als 2 x 2 Zentimeter, geht. Sobald ein Werk vollendet ist, möchte sie dieses Kunstwerk loswerden, aber nicht wegschmeissen, nein, sie möchte, dass ein Bild einen Besitzer findet, der den Wert zu schätzen weiss. Wir stellten uns die Frage, ob wir unsere Tätigkeiten, Fotografieren und Malen, auch dann ausüben würden, wenn niemand die fertigen Bilder sehen würde. Geht es uns nur um Anerkennung, um bloße Bewunderung, um eine oberflächliche Empfindung? Nach langem überlegen und recherchieren im Internet, konnten wir uns diese Frage nicht wirklich beantworten. Auf was wir uns einigen konnten war, dass es wohl eine Weile ohne der kreativen Tätigkeit ginge aber es vermutlich nach einer gewissen Zeit unerträglich sein würde, nicht unserer Leidenschaft Ausdruck zu verleihen.
Diese Diskussion brachte mich auf die Idee, diesen Blogartikel zu schreiben. Was treibt uns an? Was veranlasst uns, kreativ Tätig zu sein und den Drang, unsere Werke zu zeigen?
Der Antrieb hinter der Fotografie: Leidenschaft und Ausdruck
Es gibt zwei Arten von Motivation, die intrinsische und die extrinsische Motivation. Die intrinsische Motivation kommt von einem selbst, von innen heraus. Sie wird durch unsere eigenen Gedanken, Wünsche und Pläne genährt. Die extrinsische Motivation kommt durch die Bestätigung von außen, von anderen Personen die unsere Werke bewundern und uns Lob aussprechen.
Ich liebe es, mich in der Natur zu bewegen, eine Wanderung durch einen Wald bei Regen ist einfach herrlich. Aus fotografischer Sicht gesehen stressfrei. Kein Licht das sich ständig ändert, man hat Zeit sich auf die Motive einzustellen, die Landschaft zu studieren und sich ganz auf sich zu konzentrieren. Es gleicht einer Meditation wenn man den Fotorucksack abnimmt, die Kamera auf das Stativ montiert, das Objektiv wechselt und sein Motiv im Sucher rahmt. Man überlegt sich, wie man die Szene am besten auf den Sensor bannen kann. Man sucht nach Dingen, die nicht in den Rahmen passen. Man verändert den Standpunkt der Kamera, versucht verschiedene Einstellungen, man probiert solange herum bis man sein Bild hat, bis man den Moment in einem Bruchteil einer Sekunde (oder Sekunden) festgehalten hat.
Nach einer gewissen Zeit kommt man in einen Flow Zustand. Der Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi zeigt, dass viele Künstler und kreative Menschen in einen Zustand des „Flows“ eintreten, wenn sie arbeiten. Im Flow Zustand geht man in seiner Tätigkeit voll und ganz auf und wird oft als sehr erfüllend erlebt. Der kreative Prozess steht hier im Vordergrund und externe Belohnungen und Anerkennung rücken in den Hintergrund. Im Flow Zustand schaffen Künstler aus reiner Freude am Tun, egal ob jemand die Werke jemals sehen wird. Dies ist dann auch oft der Zustand bei mir, wo ich von einem Motiv unzählige Bilder aufnehme, die aber fast alle identisch aussehen. Das ich ein Bild nach dem anderen vom Sonnenuntergang schiesse weil sich das Licht ein wenig geändert hat. Ab einem gewissen Punkt, macht es keinen Sinn mehr das hundertste Bild aufzunehmen und das weiss ich selber, aber vor Ort macht es mich einfach glücklich und zufrieden den Auslöser betätigen zu können.
Das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung und die Möglichkeit ein individuelles Gefühl auszudrücken gibt einem das Gefühl von Sinn und Authentizität. Wenn wir ehrlich sind, sucht jeder nach einem gewissen Sinn im Leben. Wir wollen einen Sinn in dem sehen, was wir täglich bei der Arbeit tun, einen Sinn in unserer Lebensart und Sinn in unserer kreativen Tätigkeit. Der Mensch braucht einen Sinn. Ein “Warum“ gibt uns in unseren Beruf, im persönlichen Leben oder in unserer kreativen Arbeit die Kraft, sich auch in schwierigen Zeiten zu bemühen. Ein Leben, das als sinnvoll empfunden wird, fördert Durchhaltevermögen.
Kreative Tätigkeiten sind oft mit einem tiefen Sinngefühl verbunden, da sie den Ausdruck der eigenen Persönlichkeit und Vision ermöglichen. Die Fotografie wird zu einem Weg um eine Botschaft oder ein Gefühl in die Welt zu tragen. Man fühlt sich mit seinen Werken tief verbunden, auch, wenn nur wir den Sinn darin verstehen.
Das Bedürfnis nach Anerkennung: Natürlich oder Oberflächlich?
Für viele spielt das Teilen seiner Bilder eine wichtige Rolle. Der Psychologe Edward Deci hat mit Richard Ryan die Selbstbestimmungstheorie entwickelt. Diese besagt, dass Menschen sowohl intrinsisch als auch extrinsisch motiviert sein können. Man will zwar aus eigenen Antrieb kreativ sein, erlebt aber auch Befriedigung und Antrieb durch die Anerkennung anderer. Rückmeldungen können inspirierend und motivierend sein.
Anerkennung als menschliches Grundbedürfnis. Maslow beschreibt in seiner Bedürfnispyramide, dass Menschen grundlegende Bedürfnisse haben wie Sicherheit, Gemeinschaft und das Bedürfnis nach Wertschätzung. Anerkennung für die eigene Arbeit und dass sie eine Bedeutung für andere hat, ist bei jedem Menschen und in jedem Bereich, nicht nur in der Kunst, zu finden.
Wir investieren oft viel Zeit, Energie und Geld in unsere Arbeit. Anerkennung kann uns das Gefühl geben, dass unsere Anstrengungen wahrgenommen werden. Sie stärkt unser Selbstwertgefühl und das Vertrauen in unsere eigene Fähigkeit. Der Wunsch nach Anerkennung ist nichts Verwerfliches. Es ist ein Teil von uns, ein Teil des Menschseins und dem sozialen miteinander. Bedenklich ist es nur, wenn die Anerkennung zum alleinigen Antrieb für unsere Leidenschaft wird und die eigentliche Kreativität, die Leidenschaft, in den Hintergrund rückt.
Würdest du fotografieren, wenn niemand deine Bilder sehen würde?
Stelle dir die Frage, würdest du fotografieren wenn du deine Bilder auf keiner sozialen Plattform, keiner Webseite und keinem Fotowettbewerb präsentieren könntest? Der Einzige, der deine Bilder sehen würde, wärest du selbst. Der einzige Ort wo deine Bilder zu finden sind, wäre deine Festplatte. Was ist dein Antrieb in der Fotografie? Geht es dir um das Resultat, darum, dass du viele Likes bekommst oder um den Prozess? Liebst du es mit der Kamera draussen unterwegs zu sein und die Natur mit all ihren Facetten in ein ansprechendes Bild umzusetzen?
Forscher argumentieren, dass die Interaktion mit dem Publikum, sei es durch Ausstellungen, soziale Medien oder wie bei mir auch durch YouTube, die kreative Arbeit beeinflusst. Durch Gespräche und Diskussionen entstehen neue Ideen und vor allem neue Perspektiven. Ich bekomme oft neue Ideen für Blogartikel, Workshops oder Lernmethoden, in dem ich mich mit anderen austausche und versuche deren Standpunkte und Perspektiven zu verstehen.
Psychologisches Wohlbefinden
Der kreative Ausdruck kann auch therapeutischen Wert besitzen. Das kreative Schaffen kann oft emotionale Spannungen lindern und das eigene Wohlbefinden steigern. Arbeitet man hauptsächlich für sich selbst und drückt damit Emotionen aus, erlebt man oft ähnliche Effekte. Dies kann eine starke Motivation sein, unabhängig davon, ob jemand deine Bilder sieht oder nicht. Das vergangene Jahr war für mich nicht gerade einfach, die Fotografie wurde oft hinten angestellt und musste ihre Zeit am Rücksitz des Lebens verbringen. Ich hatte keine Lust und keine Motivation kreativ tätig zu sein. Aber wenn ich mich aufraffte die Kamera zu schnappen und wieder rauszugehen, war es ein wenig wie Balsam für die Seele. Nicht, dass es leicht war oder ich es uneingeschränkt genoss, aber es zwang mich oder besser gesagt meine Gedanken, loszulassen, meinen Geist zu öffnen und sich auf ein Thema, ein Problem, das Finden von Motiven, zu fokussieren. Nicht leicht wenn man etwas verarbeiten muss, aber man bekommt ein wenig Erlösung. Auch wenn dabei nichts rauskommt und man die Bilder am Ende wieder löscht. Unter solchen Umständen geht es nur darum etwas zu tun, was einem aus dem Alltag reisst, seine Gedanken von den Routinen und Alltagsproblemen loszueisen. Man braucht den Flow Zustand um sein Gehirn eine Verschnaufpause zu gönnen.
Die Balance finden
Ich fürchte, nachdem wir uns, also meine Freundin und ich, damit näher beschäftigt haben, haben wir keine klare Antwort dafür gefunden. Was wir aber sagen können ist, dass nichts Verwerfliches daran zu finden ist, wenn man nach Anerkennung sucht solange die Gründe dafür das eigentliche kreative Schaffen nicht in den Hintergrund rücken. Wir kennen es doch alle, die Clickbait Titel auf YouTube, die knalligen Bilder auf Instagram oder die Blogartikel mit irreführenden Titel. Man ist nur auf die Anerkennung und den Ruhm aus. Würde ich also weiterhin fotografieren wenn kein einziges meiner Bilder je jemand zu Gesicht bekommen würde? Vermutlich ja, weil ich Geschichten mag! Geschichten die das Leben schreibt und mich zu dem machen, der ich bin. Weil es mich erfüllt mit der Kamera in der Hand die Schönheit der Natur und der Welt in ein Bild einzufangen. Ich liebe meine eigene Geschichte!
Wie sieht es bei dir aus? Teilst du deine Fotos auf Social Media? Oder bist zu zufrieden, dass nur du deine Bilder siehst?
Danke Jürgen für deinen Beitrag und die immer wieder spannenden Videos, von denen ich viel lernen kann.
Ich merke so bei mir, dass die Frage nach dem Warum immer mehr der Frage nach dem Wofür gewichen ist. Die Warumfrage öffnet meist einen Fächer von unbeantwortbaren Fragen. Die Wofürfrage ist eine Frage die den Fokus eher in das hier und jetzt und in die Zukunft leitet. Das fördert mich mehr.
Ich selber bezeichne mich immer noch als fotografischer Anfänger in der Entwicklung und wenn ich selber meine Bilder betrachte, dann erlebe ich in diesen auch eine Entwicklung. Das gefällt mir sehr gut und ich suche meinen eignen Styl. So kann es wirklich sein, dass ich allein bleibe und eine Foto sehr schön finde. Meist schreibe ich dann dazu auch meine Texte in denen ich mein 30 jähriges psychotherapeutisches Arbeiten hineintragen kann. Nun aber mit einem anderen Fokus, nämlich die von mir gemachten und erlebten Bilder. Danke Jürgen für dein Teilhaben lassen an deinen Gedanken und an deinem fotografischen Schaffen. Herzliche Grüsse Beat
Vielen Dank Beat! Das ist auch ein guter Ansatz, das Wofür. Ich lese gerade ”Finde dein Warum ” von Simon Sinek wo genau solche Dinge erkundet werden.
Grüße Jürgen
Hallo Jürgen,
Immer öfter stelle ich fest, dass wir gleich ticken. Du hast die Gabe Dinge in Worte zu fassen die mich genauso umtreiben.
Dieser Blogartikel ist so einer. Ich fühle, dass da einer ist der das ausdrückt, was ich genau so empfinde.
Danke für diesen Beitrag.
Hans
Vielen Dank Hans! Freut mich, dass dir der Artikel gefällt. Manchmal fällt es mir leicht Dinge in Worte zu fassen, manchmal ist es dann nicht ganz so einfach.
Grüße Jürgen